Was weiß ich
Was weiß ich
wieso
wir uns hier
bewegen ins
Loch, im Kreise
immer auf der Suche
nach der eignen
Scheiße, als ob es
Trüffelpilze wären, reine
Genüsse für uns
Schweine.
Was weiß ich
weshalb
wir uns wie
die Vögel liken
ganz wichtig
witzig wild
ganz ehrlich
um gleich
darauf nochmal
zu feixen das
Töten
tut uns gut.
Was weiß ich
warum
wir unsre Mäuler
stopfen mit Unrat
Unflat, Untat und
das dann Kotzen
den andern
ins Gesicht
als seien sie
schuldig
vor Gericht
und wir nicht.
Was weiß denn
ich
stress nicht
wenn’s doch läuft
was kümmert’s mich
entspann dich
bin
ich Jesus? Was kann ich
dafür, wenn von uns drum
die Welt ersäuft
sinnlos
sich darüber aufzuregen
oder? Ich weiß nicht...
Nichts.
(aus: "planetenlieben" von Jamie Konrad)
Gedanken zum Gedicht
Ein Gedicht in vier Strophen. Das weder mit deutlichen noch derben Worten spart. Eigentlich liegt in ihm alles offen zutage: nämlich das Wundern darüber, wie wir miteinander umgehen. Dieser Umgang wird durch das Dauerfeuer in den sogenannten sozialen Medien sichtbarer und wirkmächtiger.
Braucht es überhaupt noch eine Gedichtinterpretation? Wenn schon alles klar ist?
Jamie Konrads Gedichte haben immer mehrere Ebenen – und die locken, verführen. Verführen zum Nachforschen, Auszählen, Spielen. Vielleicht gibt es Hinweise auf Konstruktionen in der Konstruktion? Gibt es ein Versmaß mit besonderer Bedeutung, das auf andere Ebenen verweist? Eine Strophenform, die Bezüge zu anderen Gedichten herstellt? Versteckt sich irgendwo Zahlenmystik?
Die Vier kann etwas bedeuten. Zum Beispiel ist sie eine Zahl mit fester Verankerung im westlichen Welterschließungssystem: vier Jahreszeiten, vier Himmelsrichtungen, vier Elemente (Feuer, Wasser, Erde, Luft) und vier Temperamente (sanguinisch, phlegmatisch, cholerisch und melancholisch).
Und aus dem Westen kommt auch das Internet, das sich nicht zum erhofften Demokratiebeförderer entwickelt hat, sondern vielmehr zu einem Ort maximaler Kleingeistigkeit, in dem die eigne, enge Welt fleißig beschaut, wenig gedacht, viel gemeint, viel Häme, Beleidigungen und Vernichtungsphantasien verbreitet werden, Schuld zugewiesen und wenig Verantwortung übernommen wird. Es geht aber auch zu leicht: Ein Like hier, ein Bildchen da, ein Halbsätzchen dort, befeuert vom Echo der Gleichtuenden und richterlichen Entscheidungen, was an Androhungen und Ehrverletzungen alles zu dulden ist.
Zehn Worte stehen in diesem Gedicht einzeln. Dahinter könnte sich eine Bedeutung verbergen. Da wären die 1 und die 0 als Grundlage aller Computerprogramme und damit des Internets. Aber auch die Zehn als ein Symbol für Vollendung und Macht.
Liest man diese zehn Worte strophenweise hintereinander, bleibt „wieso Schweine, weshalb Töten, warum schuldig, ich bin sinnlos Nichts“. Wieso, weshalb, warum? Wem käme nicht die Melodie der Sesamstraße in den Sinn und die Fortsetzung „Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Aber im Gedicht sind es eher empörte Zurückweisungen im Gewand der Frage: „Warum sollten wir uns für Schweine halten? Weshalb sollte wir unsere Beiträge im Netz mit Töten gleichsetzen? Warum sollten wir schuldig geworden sein? Das lyrische Ich kennt nur eine resignierte Antwort darauf: Es ist das Eingeständnis der eigenen Sinnlosigkeit in der Kombination von 1 und 0: „Was weiß ich? Nichts.“